Katharina Krentz gehört zu den WOL-Pionierinnen in Deutschland. WOL – das steht für Working Out Loud, eine noch recht junge Arbeitsmethode, die Vernetzung und kulturellen Wandel fördert und hilft auf lockere Art und Weise, miteinander zu lernen. Das eigene Wissen wird geteilt – und alle profitieren davon. Bereits seit 2010 beschäftigt Katharina sich mit dem Thema Enterprise Social Network (ESN), also vernetzter, digitaler Zusammenarbeit innerhalb von Unternehmen. Sie hat die WOL-Initiative bei Bosch angestoßen und mittlerweile ein weltweites internes Netzwerk aufgebaut.
In unserem Gespräch gibt Katharina mir Einblicke, wie Working Out Loud bei Bosch im Alltag umgesetzt wird.
Zunächst einmal zu „New Work“: Was bedeutet das bei Bosch?
Wir sehen, dass die großen Veränderungsthemen Digitalisierung, Globalisierung und demographischer Wandel einen enormen Einfluss auf Unternehmen, Organisationen und Arbeitsabläufe haben. Auf die Führungskultur und die Zusammenarbeit. Themen wie Arbeitszeitmodelle, Arbeitsmethoden und Karrierewege ändern sich. Bosch gibt es seit über 130 Jahren. Wir sind auf dem Weg, ein führender Anbieter im Internet der Dinge zu werden, und haben viele innovative Einheiten, die sich um die Zukunftstechnologien kümmern. Bereits heute arbeiten bei uns mehr als 25.000 Software-Spezialisten. Wenn wir sehen, welche technologischen Möglichkeiten wir heute haben und welche Anforderungen an Unternehmen gerichtet werden, dann dreht sich New Work für uns um all diese neuen Möglichkeiten.
Weshalb habt Ihr Working Out Loud auf den Weg gebracht? Gab es einen speziellen Anlass?
In meiner ursprünglichen Aufgabe als interner Community Manager habe ich mir die Frage gestellt, wie wir Community Manager ausbilden müssen, damit sie ihren Job gut machen und wie sie ihr Wissen in die Organisationen weitergeben können. Bei Internetrecherchen bin ich 2013 auf Working Out Loud und auf John Stepper, den Begründer der Methode, gestoßen. Zu dem Zeitpunkt gab es das Buch und die Circle Guides noch nicht, aber es gab die Idee – die Idee, vernetzt, öffentlich transparent, mehrwert- und sinnstiftend in einer Gruppe zu arbeiten. Über mein unternehmensübergreifendes Netzwerk, das sich mit dem Wandel von Organisationen und Kollaborationsplattformen beschäftigt hat, kam die Einladung, dass John Stepper gerne das Konzept nach Deutschland bringen möchte. Wir haben die Methode ausprobiert und in Woche drei entschieden, dass es exakt das ist, was wir bei Bosch brauchen.
Weshalb?
Wir haben gesehen, dass die Methode eine Lücke im Lern-Portfolio schließt: den Fokus auf die Fähigkeiten eines jeden Mitarbeiters zu richten, sich in virtuellen Experten-Netzwerken zu vernetzen. Intern im Unternehmen – Bosch Connect heißt es bei uns – aber auch extern. Also Netzwerkaufbau und vernetztes Zusammenarbeiten Schritt für Schritt lernen, Nutzung digitaler Tools und Apps etc.
Wenn man noch gar keine Ahnung hat von Working Out Loud: Wie funktioniert das, womit startet man? Muss man sich da anmelden oder geht man da einfach hin?
Bei Bosch funktioniert das so: man kann ganz einfach Mitglied in der Working-Out-Loud-Community in unserem ESN (Enterprise Social Network)werden. Jeder kann sich anmelden, jeder hat Zugriff. Das ist öffentlich, für jeden Mitarbeiter einsehbar. Man trägt sich in eine Teilnehmerliste ein, beantwortet ein paar Fragen, zum Beispiel wer ich bin, an welchem Standort ich arbeite, welche Sprachen ich spreche, ob ich das „Face-to-Face“ machen möchte, mit persönlichen Treffen oder auch virtuell via Skype in einer Videosession.
Klingt unkompliziert. Gibt es Schwerpunktthemen? Ursprünglich befasst sich Working Out Loud ja eher mit individuellen Fragestellungen… Kann da jeder machen was er will?
Ja! Kann er tatsächlich! Und das kommunizieren wir auch so. Die Mitarbeiter können sehr gerne ein persönliches privates Ziel oder ein Arbeitsziel wählen. Wir sagen auch ganz offen, dass sich der Mehraufwand, wenn man ein Arbeitsziel wählt, durch die Abarbeitung der Aufgaben und die Circle-Meetings im Rahmen hält. Wir möchten, dass die Mitarbeiter neue Fähigkeiten erlernen oder bestehende ausbauen: die Fähigkeit, ad hoc ein Netzwerk aufzubauen mit Experten, die man vorher noch nicht gekannt hat, die Fähigkeit, in der digitalen Welt effektiv mit einem virtuellen Netzwerk zu kommunizieren, die eigene Arbeit und das eigene Wissen sichtbar zu machen, von anderen zu lernen, andere von mir lernen zu lassen. All das erarbeitet man sich in zwölf Wochen. Ob man das mit dem Ziel macht, die Ernährung umzustellen, oder ob man das mit dem Ziel macht, sein Projekt sichtbarer zu machen und damit auch anderen Geschäftsbereichen helfen kann, ist uns im ersten Schritt nicht so wichtig. Wichtiger sind für uns zunächst die Entwicklung des Mindsets und der genannten Fähigkeiten. Die bringen uns als Unternehmen voran.
Was hat sich durch die Methode verändert?
Bereits mehr als 1.500 Kollegen haben mitgemacht, es gibt über 500 Circle, also WOL-Gruppen. Die Teilnehmer sind in unserem Bosch Social Network sichtbar. Sie haben ein ausgefülltes Profil, ein Profilbild, sind mit Schlagworten versehen, basierend auf ihrer Expertise, ihren Erfahrungen, ihren Talenten und Projekten, an denen sie mitgewirkt haben. Sie machen sich sichtbar und stellen allen ihre Erfahrungen zur Verfügung. Sie sind sehr hilfsbereit. Sie wissen, wie man digital wertschätzend auf Augenhöhe kommuniziert, wissen, wie sich das anfühlt, wenn ich erst gebe und dann zurückbekomme, wissen, wie diese Netzwerkmechanismen funktionieren. Sie haben erlebt, wie es sich anfühlt, Menschen, die sie nicht kennen, anzusprechen, mit ihnen eine Beziehung aufzubauen und sich gegenseitig zu helfen. Dieser Wandel, den wir hier gerade durchlaufen, ist erlebbar. Wenn mir plötzlich ein Entwicklungsleiter aus Indien hilft, mit dem ich eigentlich gar nichts zu tun habe, der aber zu dem Thema, das mich gerade berührt, Input hat, dann macht das etwas mit mir. Vor allem bewirkt es, dass ich diese Art der Zusammenarbeit als wertvoll empfinde und auch weitertrage.
Also eine Entwicklung hin zum Miteinander, zu Geben und Nehmen …
Das ist das Faszinierende an Working Out Loud. Auf der logischen Ebene wissen wir alle, was man tun müsste oder sollte oder mal machen könnte. Wirklicher Wandel findet dann statt, wenn ich für mich den Mehrwert erlebt habe. Dann ändere ich mich, meine Art zu arbeiten, zu kommunizieren, zu denken, zu handeln. Dieses „Wir nehmen uns Zeit und lernen uns richtig kennen“, wir helfen uns gegenseitig, wir reflektieren, wir geben uns Feedback und basierend darauf kann sich jeder individuell weiterentwickeln. Das ist an dieser Methode einzigartig.
Was braucht es, damit Working Out Loud erfolgreich funktionieren kann?
Wichtig ist, dass alle die gleiche Haltung teilen. Also die Bereitschaft, über Fehler zu reden, die Bereitschaft, transparent zu arbeiten, auf Augenhöhe zu kommunizieren und für ein gutes Miteinander im Team zu sorgen. Wir wissen mittlerweile, dass Veränderung Tagesgeschäft ist. Stillstand gibt es nicht mehr. Die permanente Veränderung bedingt kontinuierliches Lernen und kontinuierliche Weiterentwicklung der Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. John Stepper spricht von „Growth Mindset“. Wir wissen heute, dass es verhandelbar ist, worin wir gut sind, basierend auf Interesse und Willen. Wenn ich gestern zum Beispiel schlecht in Mathe war, heißt das nicht, dass ich das morgen auch noch sein muss. Wenn ich den richtigen Lehrer habe, wenn ich den Willen habe, dann kann ich das verändern. Ich glaube, dass dieses Bewusstsein zunehmen wird. Es geht also gar nicht so sehr darum, wie wir es nennen, also Working Out Loud, Design Thinking oder agiles Arbeiten. Sondern um das Bewusstsein, um die Idee dahinter. Darum, dass wir uns alle permanent mit neuen Themen beschäftigen müssen und dass wir es nur gemeinsam schaffen, indem wir alle unser Wissen einbringen und uns gegenseitig unterstützen.
Was würdest du anderen Unternehmen, die WOL einführen möchten, mit auf den Weg geben?
Einfach machen! Selber ausprobieren! Working Out Loud funktioniert im Unternehmen vor allem dann, wenn es Erfahrungsträger gibt, die sagen können, was es mit ihnen gemacht hat. Man kann ganz klein starten. Einer probiert es aus, erzählt es weiter, gibt es weiter. Das Gute an Working Out Loud ist, dass man die Themen frei wählen kann. Wenn ich noch einmal am Anfang stünde und Working Out Loud noch einmal einführen würde, dann würde ich gern gleich ein größeres Team auf die Beine stellen, würde noch mutiger sein, zum Beispiel sofort den Arbeitsdirektor bitten, die Schirmherrschaft zu übernehmen, und nicht erst nach zwei Jahren … Denn auch Graswurzelbewegungen benötigen Licht von oben, um wachsen und gedeihen zu können.
Vielen Dank für das sympathische Interview und deine spannenden Einblicke, liebe Katharina!
Das komplette Interview gibt es im Buch New Work Unplugged – der Impulsgeber zum Gestalten der neuen Arbeitswelt.